Prioritätsstreitigkeiten.
In Betreff der Prioritätsstreitigkeiten ist im Allgemeinen zu sagen,
dass von jeder großen Wahrheit sich, ehe sie gefunden worden, ein Vorgefühl
kund gibt, eine Ahndung, ein undeutliches Bild, wie im Nebel,
und ein vergebliches Haschen, sie zu ergreifen, weil eben die Fortschritte
der Zeit sie vorbereitet haben. Demgemäß präludieren dann vereinzelte
Aussprüche. Allein nur, wer eine Wahrheit aus ihren Gründen erkannt
und in ihren Folgen durchdacht, ihren ganzen Inhalt entwickelt,
den Umfang ihres Bereichs übersehen und sie sonach mit vollem Bewusstsein
ihres Wertes und ihrer Wichtigkeit deutlich und zusammenhängend
dargelegt hat, der ist ihr Urheber. Dass sie hingegen in alter
oder neuer Zeit irgend ein Mal mit halbem Bewusstsein und fast wie
ein Reden im Schlaf ausgesprochen worden und demnach sich daselbst
finden lässt, bedeutet, wenn sie auch totidem verbis dasteht, nicht viel
mehr, als wäre es totidem literis; gleichwie der Finder einer Sache
nur Der ist, welcher sie, ihren Wert erkennend, aufhob und bewahrte,
nicht aber Der, welcher sie zufällig einmal in die Hand nahm und
wieder fallen ließ; oder, wie Kolumbus der Entdecker Amerikas ist,
nicht aber der erste Schiffbrüchige, den die Wellen ein Mal dort abwarfen.
Dies aber ist der Sinn des Donatischen pereant qui ante
nos nostra dixerunt. (P. I, 145.)