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Schopenhauers Kosmos

 

 Physiognomie. Physiognomik.

1) Bedeutsamkeit der Physiognomie.

Wie aus einer richtigen Metaphysik folgt, dass im Angeborenen, nicht im Erworbenen das eigentliche Wesen eines Menschen liegt, so bezeugt dies auch das große Gewicht, welches Alle auf die Physiognomie und das Äußere, also das Angeborene jedes irgendwie ausgezeichneten Menschen legen und daher so begierig sind, ihn zu sehen. (P. II, 244.) Das Gewicht, welches allgemein auf die Physiognomie gelegt wird, und die allgemeine Begier, einen irgendwie Ausgezeichneten zu sehen, wäre unerklärlich, wenn, wie einige Toren wähnen, das Aussehen eines Menschen nichts zu bedeuten hätte, indem ja die Seele eines und der Leib das Andere wäre, zu jener sich verhaltend, wie zu ihm selbst sein Rock. (P. II, 670.)

2) Schwierigkeit der Entzifferung der Physiognomie.

Der Grundsatz, von dem Alle stillschweigend ausgehen, dass Jeder ist wie er aussieht, ist richtig; aber die Schwierigkeit liegt in der Anwendung. Die Entzifferung des Gesichts ist eine große und schwere Kunst. Ihre Prinzipien sind nie in abstrakto zu erlernen. (P. II. 670 fg.)

3) Warum das Verständnis der Physiognomie eine Sache der Intuition, nicht der Reflexion ist.

Wie bei allen jenen Verrichtungen, bei denen der Verstand, die anschauliche Erkenntnis, die Tätigkeit unmittelbar leiten muss, die Anwendung der Vernunft, die Reflexion störend wird, so auch bei dem Verständnis der Physiognomie; auch diese muss unmittelbar durch den Verstand geschehen; der Ausdruck, die Bedeutung der Züge lässt sich nur fühlen, sagt man, d. h. geht nicht in die abstrakten Begriffe ein. Jeder Mensch hat seine unmittelbare intuitive Physiognomik und Pathognomik. Aber eine Physiognomik in abstrakto zum Lehren und Lernen ist nicht zu Stande zu bringen, weil die Nuancen hier so fein sind, dass der Begriff nicht zu ihnen herab kann. Die Begriffe mit ihrer Starrheit und scharfen Begrenzung sind, so fein man sie auch durch nähere Bestimmung spalten möchte, stets unfähig, die feinen Modifikationen des Anschaulichen zu erreichen, auf welche es bei der Physiognomik gerade ankommt. (W. I, 67.)

4) Bedingungen zur richtigen Deutung der Physiognomie.

Die erste Bedingung zur richtigen Deutung der Physiognomie ist, dass man seinen Mann mit rein objektivem Blick auffasse. Sobald die leiseste Spur von Abneigung, oder Zuneigung, oder Furcht, oder Hoffnung, kurz irgend etwas Subjektives sich einmischt, verwirrt und verfälscht sich die Hieroglyphe. Die Physiognomie eines Menschen sieht rein objektiv nur Der, welcher ihm noch fremd ist. Demgemäß hat man den rein objektiven Eindruck eines Gesichts, und dadurch die Möglichkeit seiner Entzifferung, streng genommen, nur beim ersten Anblick. (P. II, 671. 673.)
Um die wahre Physiognomie eines Menschen rein und tief zu erfassen, muss man ihn beobachten, wann er allein und sich selbst überlassen dasitzt. Schon jede Gesellschaft und sein Gespräch mit einem Anderen wirft einen fremden Reflex auf ihn. Hingegen allein und sich selber überlassen, — nur da ist er ganz und gar er selbst. Da kann ein tief eindringender physiognomischer Blick sein ganzes Wesen im Allgemeinen auf Ein Mal erfassen. (P. II, 674 fg.)

5) Warum es leichter ist, die Intellektuellen, als die moralischen Eigenschaften aus der Physiognomie zu erkennen.

Es ist auf physiognomischem Wege viel leichter, die Intellektuellen Fähigkeiten eines Menschen, als seinen moralischen Charakter, zu entdecken. Jene nämlich schlagen viel mehr nach außen. Sie haben ihren Ausdruck nicht nur am Gesicht und Mienenspiel, sondern auch am Gange, ja, an jeder Bewegung, so klein sie auch sei. Der moralische Charakter dagegen, als ein Metaphysisches, liegt ungleich tiefer und hängt zwar auch mit der Korporisation, dem Organismus, zusammen, jedoch nicht so unmittelbar und ist nicht an einen bestimmten Teil und System desselben geknüpft, wie der Intellekt. Dazu kommt, dass während Jeder seinen Verstand offen zur Schau trägt, das Moralische selten ganz frei an den Tag gelegt, ja meistens absichtlich versteckt wird. Inzwischen drücken die schlechten Gedanken und nichtswürdigen Bestrebungen allmählich dem Gesicht ihre Spuren ein, zumal dem Auge. (P. II, 675—677.)

6) Physiognomische Einheit des Gesichts.

(S. Gesicht.)

7) Seltenheit erfreulicher Gesichter und Grund hiervon.

(S. Gesicht.)

8) Warum die Physiognomik ein Hauptmittel zur Kenntnis der Menschen ist.

Die Physiognomik ist schon deshalb ein Hauptmittel zur Kenntnis der Menschen, weil die Physiognomie im engeren Sinne das Einzige ist, wohin ihre Verstellungskünste nicht reichen, da im Bereiche dieser das Pathognomische, das Mimische liegt. (P. II, 675.)

9) Wie weit die begriffliche Physiognomik mit Sicherheit gehen kann.

Die begriffliche Physiognomik kann mit Sicherheit nicht weiter gehen, als zur Aufstellung einiger ganz allgemeiner Regeln, z. B. solcher: In Stirn und Auge ist das Intellektuale, im Munde und der unteren Gesichtshälfte das Ethische, die Willensäußerungen zu lesen; — Stirn und Auge erläutern sich gegenseitig, jedes von Beiden, ohne das Andere gesehen, ist nur halb verständlich; — Genie ist nie ohne hohe, breite, schön gewölbte Stirn, diese aber oft ohne jenes; — von einem geistreichen Aussehen ist auf Geist um so sicherer zu schließen, je hässlicher das Gesicht ist, und von einem dummen Aussehen auf Dummheit desto sicherer, je schöner das Gesicht ist, u. s. w. (W. I, 67. fg. M. 280. 283.)