Philosoph.
1) Anlage, Eigenschaften und Erfordernisse des Philosophen.
Die, welche durch das Studium der Geschichte der Philosophie Philosophen zu werden hoffen, sollten aus derselben vielmehr entnehmen, dass Philosophen, eben so sehr wie Dichter, nur geboren werden, und zwar viel seltener. (P. II, 8.)
Die eigentliche philosophische Anlage besteht zunächst darin, dass man
über das Gewöhnliche und Alltägliche sich zu verwundern fähig ist,
wodurch man eben veranlasst wird, das Allgemeine der Erscheinung
zu seinem Problem zu machen. Der Intellekt des gewöhnlichen Menschen,
seiner ursprünglichen Bestimmung, als Medium der Motive dem
Willen dienstbar zu sein, noch ganz treu geblieben, ist weit davon entfernt,
sich vom Ganzen der Dinge gleichsam ablösend, demselben gegenüber
zu treten, und so einstweilen als für sich bestehend, die Welt rein
objektiv aufzufassen. Hingegen ist die hieraus entspringende philosophische
Verwunderung in Einzelnen durch höhere Entwickelung der
Intelligenz bedingt. (W. II, 176. N. 75. M. 748.)
Mit der Steigerung der Deutlichkeit des Bewusstseins tritt mehr
und mehr die Besonnenheit ein und dadurch kommt es allmählich dahin
dass bisweilen es wie ein Blitz durch den Kopf fährt mit
was ist das Alles?oder auch mit
wie ist es eigentlich beschaffen?Die erstere Frage wird, wenn sie große Deutlichkeit und anhaltende Gegenwart erlangt, den Philosophen, und die andere eben so den Künstler oder Dichter machen. Dieserhalb also hat der hohe Beruf dieser Beiden seine Wurzel in der Besonnenheit. (W. II, 435 fg. Vergl. Besonnenheit.)
Die gewöhnlichen Menschen sehen in den Dingen stets nur das
Einzelne und Individuelle derselben, der Philosoph dagegen das Allgemeine.
Jene sind sich nur bewusst, der und der Mensch zu sein,
dass sie aber überhaupt ein Mensch sind und welche Korollarien hieraus
folgen, das fällt ihnen kaum ein, ist aber gerade Das, was den Philosophen
beschäftigt. (P. II, 3 fg.)
Zu wirklichen und echten Leistungen in der Philosophie ist,
wie in der Poesie und den schönen Künsten, die erste Bedingung ein
ganz abnormer Hang, der, gegen die Regel der menschlichen Natur,
an die Stelle des subjektiven Strebens nach dem Wohl der eigenen
Person, ein völlig objektives, auf eine der Person fremde Leistung
gerichtetes Streben setzt und eben deshalb sehr treffend exzentrisch
genannt, mitunter wohl auch als donquichotisch verspottet wird. (P.
I, 164.)
Zum Philosophieren sind die zwei ersten Erfordernisse diese: erstlich,
dass man den Mut habe, keine Frage auf dem Herzen zu behalten,
und zweitens, dass man alles Das, was sich von selbst versteht,
sich zum deutlichen Bewusstsein bringe, um es als Problem aufzufassen.
Endlich auch muss, um eigentlich zu philosophieren, der Geist
wahrhaft müßig sein; er muss keine Zwecke verfolgen und also nicht
vom Willen gelenkt werden, sondern sich ungeteilt der Belehrung hin
geben, welche die anschauliche Welt und das eigene Bewusstsein ihm
erteilt. (P. II, 4.)
Auf Offenbarungen wird in der Philosophie nichts gegeben, daher
ein Philosoph vor allen Dingen ein Ungläubiger sein muss. (N. Vorrede X, Anmerk.)
Die Fähigkeit zur Philosophie besteht in Dem, worein Plato sie
setzte, im Erkennen des Einen im Vielen und des Vielen im Einen.
(W. I, 98.)
Wem nicht zu Zeiten die Menschen und alle Dinge wie bloße
Phantome oder Schattenbilder vorkommen, der hat keine Anlage
zur Philosophie; denn Jenes entsteht aus dem Kontrast der einzelnen
Dinge mit der Idee, deren Erscheinung sie sind, und die Idee ist
nur für das höher gesteigerte Bewusstsein zugänglich. (H. 295.) Platon
sagt öfter, dass die Menschen nur im Traum leben, der Philosoph
allein sich zu wachen bestrebe. (W. I, 20.)
Beim Philosophieren darf es, so sehr auch der Kopf oben zu bleiben
hat, doch nicht so kaltblütig hergehen, dass nicht am Ende der ganze
Mensch, mit Herz und Kopf, zur Aktion käme und durch und durch
erschüttert würde. Philosophie ist kein Algebra-Exempel. Vielmehr
hat Vauvenargue Recht, indem er sagt: les grandes pensées
viennent du coeur. (P. II, 9.)
Dem Philosophen muss bei aller Lebhaftigkeit der Anschauung die
Reflexion immer ganz nahe liegen; ja, er muss einen gleichsam instinktartigen
Trieb haben, Alles, was er anschaulich erkannt, sogleich in
Begriffen auszudrücken, wie geborene Maler bei Allem, was sie sehen
und bewundern, sogleich zum Griffel greifen. (M. 719. H. 298 fg.)
Mehr, als jeder Andere, soll der Philosoph aus der Urquelle alles
unseres Erkennens, der Anschauung, schöpfen und daher stets die
Dinge selbst, die Natur, die Welt, das Leben ins Auge fassen, sie,
und nicht die Bücher, zum Texte seiner Gedanken machen, auch stets
an ihnen alle fertig überkommenen Begriffe prüfen und kontrollieren, die
Bücher hingegen nur als Beihilfe benutzen. An der Natur, der
Wirklichkeit, die nie lügt, hat der Philosoph sein Studium zu machen,
und zwar an ihren großen, deutlichen Zügen, ihrem Haupt- und
Grundcharakter. Demnach hat er die wesentlichen und allgemeinen
Erscheinungen zum Gegenstande seiner Betrachtung zu machen, hingegen
die seltenen, vorüberfliegenden, speziellen, mikroskopischen den
Fachgelehrten zu überlassen. (P. II, 8. 51.)
Der Philosoph muss alle Felder übersehen, ja, in gewissem Grade
darauf zu Hause sein, wobei diejenige Vollkommenheit, welche man nur
durch das Detail erlangt, notwendig ausgeschlossen bleibt. Die mit
dem Detail der Spezialwissenschaften beschäftigten Gelehrten sind den
Genfer Arbeitern zu vergleichen, deren Einer lauter Räder, der Andere
lauter Federn, der Dritte lauter Ketten macht; der Philosoph hingegen
dem Uhrmacher, der aus dem Allen erst ein Ganzes hervorbringt, welches
Bewegung und Bedeutung hat. Auch kann man sie den Musikern
im Orchester vergleichen, von welchen jeder Meister auf seinem Instrument
ist, den Philosophen hingegen dem Kapellmeister, der die Natur
und Behandlungsweise jedes Instruments kennen muss, ohne jedoch sie
alle, oder nur eines, in großer Vollkommenheit zu spielen. (W. II,
141 fg.)
3) Unterschied zwischen dem Philosophen und Dichter.
Der Dichter bringt Bilder des Lebens, menschliche Charaktere und Situationen vor die Phantasie, setzt das Alles in Bewegung und überlässt nun Jedem, bei diesen Bildern so weit zu denken, wie seine Geisteskraft reicht. Deshalb kann er Menschen von den verschiedensten Fähigkeiten genügen. Der Philosoph hingegen bringt nicht in jener Weise das Leben selbst, sondern die fertigen, von ihm daraus abstrahierten Gedanken, und fordert nun, dass sein Leser eben so und eben so weit denke, wie er selbst. Dadurch wird sein Publikum sehr klein (P. II, 5 fg.)
In Folge der wesentlich polemischen Natur der philosophischen Systeme
ist es unendlich schwerer, als Philosoph Geltung zu erlangen,
denn als Dichter. Verlangt doch des Dichters Werk vom Leser nichts
weiter, als einzutreten in die Reihe der ihn unterhaltenden oder erhebenden
Schriften, und eine Hingebung auf wenige Stunden. Das Werk der
Philosophen hingegen will seine Denkungsart umwälzen. Die Größe
des philosophischen Publikums verhält sich zu der des dichterischen,
wie die Zahl der Leute, die belehrt, zu der, die unterhalten sein wollen.
(P. II, 6.)
Den schönen Künsten, selbst der Poesie, schadet es wenig, dass sie
auch zum Erwerb dienen; denn jedes ihrer Werke hat eine gesonderte
Existenz für sich und das Schlechte kann das Gute so wenig verdrängen,
wie verdunkeln. Aber die Philosophie ist ein Ganzes, also
eine Einheit, und ist auf Wahrheit, nicht auf Schönheit gerichtet; es
gibt vielerlei Schönheit, aber nur eine Wahrheit, wie viele Musen,
aber nur eine Minerva. Eben deshalb darf der Dichter getrost verschmähen,
das Schlechte zu geißeln; aber der Philosoph kann in den
Fall kommen, dies tun zu müssen. (P. I, 168.)
Der Dichter kann, um nicht von seinen poetischen Gaben leben und
sie durch schnöden Erwerb profanieren zu müssen, neben der Poesie ein
Gewerbe treiben. Wenn jene dann auch sich etwas beengt und behindert
fühlen sollten; so können sie dabei doch gedeihen, weil ja der
Dichter nicht große Kenntnisse und Wissenschaft zu erwerben braucht,
wie dies der Fall des Philosophen ist. Der Philosoph hingegen kann
aus dem angeführten Grunde nicht wohl ein Gewerbe neben der Philosophie
treiben. Da nun aber das Geldverdienen mit der Philosophie
seine anderweitigen und großen Nachteile hat, so ist der Philosoph
glücklich zu schätzen, der sich eines Erbguts erfreut. (P. II, 461 fg.)
Ein Dichter ist man nicht ohne einen gewissen Hang zur Verstellung
und Falschheit; hingegen ein Philosoph nicht ohne einen gerade entgegengesetzten
Hang. Dies ist wohl eine Fundamentaldifferenz beider
Geistesrichtungen, die den Philosophen höher stellt, wie er denn auch
wirklich höher steht und seltener ist. (H. 295.)