1) Die reine Materie und ihre apriorischen Bestimmungen.
Die Materie ist durch und durch Kausalität. Da nun der Verstand
das subjektive Korrelat der Kausalität ist, so ist die Materie nur für
den Verstand da, er ist ihre Bedingung, ihr Träger, als ihr notwendiges
Korrelat. (
W. I, 13. 160. Vergl. auch über das Korrelat
der Materie unter
Intellekt: der reine Intellekt.) Die Materie, bloß
nach ihrer Beziehung zu den Formen des Intellekts, nicht aber zum
Dinge an sich betrachtet, ist die objektive, jedoch ohne nähere Bestimmung
aufgefasste Wirksamkeit überhaupt. Denn das Materielle
ist das Wirkende (Wirkliche) überhaupt und abgesehen von der
spezifischen Art seines Wirkens. Daher ist die reine Materie nicht
Gegenstand der Anschauung, sondern allein des Denkens, folglich
eine Abstraktion; in der Anschauung hingegen kommt sie nur in Verbindung
mit der Form und Qualität vor, als Körper, d. h. als eine
ganz bestimmte Art des Wirkens. Die reine Materie, welche allein
den wirklichen und berechtigten Inhalt des Begriffs Substanz ausmacht,
ist die objektivierte Kausalität selbst, den Raum erfüllend und
in der Zeit beharrend. Als solche gehört sie dem formellen Teil
unserer Erkenntnis an. Insofern aber ist die Materie eigentlich auch
nicht Gegenstand, sondern Bedingung der Erfahrung. Sie ist
das durch die Formen unseres Intellekts notwendig herbeigeführte
bleibende Substrat aller vorübergehenden Erscheinungen, das unter
allem Wechsel schlechthin Beharrende, also das zeitlich Anfangs- und
Endlose. Von den eigentlichen Anschauungen
a priori unterscheidet
sie als ein
a priori gedachtes sich zwar dadurch, dass wir sie auch
ganz wegdenken können, Raum und Zeit hingegen nimmermehr. Aber
die ein Mal in sie hineingesetzte und demnach als vorhanden gedachte
Materie können wie schlechterdings nicht mehr wegdenken; insofern also
ist sie mit unserm Erkenntnisvermögen eben so unzertrennlich verknüpft,
wie Raum und Zeit selbst. Jedoch der Unterschied, dass sie dabei zuerst
beliebig als vorhanden gesetzt sein muss, deutet schon an, dass sie
nicht so gänzlich dem formalen Teil unserer Erkenntnis angehört,
wie Raum und Zeit, sondern zugleich ein nur
a posteriori gegebenes
Element enthält. Sie ist in der Tat der Anknüpfungspunkt des
empirischen Teils unserer Erkenntnis an den reinen apriorischen, mithin
der eigentümliche Grundstein der Erfahrungswelt. (
W. II,
346—348; I, 10. 582; II, 52.
G. 82 fg. — Über das Zusammenfallen
der Essenz und Existenz bei der reinen Materie vergl.
Essentia und Existentia.)
Da die Kausalität den Raum mit der Zeit vereinigt und im Wirken,
also in der Kausalität, das ganze Wesen der Materie besteht; so
müssen auch in dieser Raum und Zeit vereinigt sein, d. h. sie muss
die Eigenschaften der Zeit und die des Raumes, so sehr sich beide
widerstreiten, zugleich an sich tragen, und was in jedem von jenen
beiden für sich unmöglich ist, muss sie in sich vereinigen, also die bestandlose
Flucht der Zeit mit dem starren unveränderlichen Beharren
des Raumes; die unendliche Teilbarkeit hat sie von beiden. Erst
durch die Vereinigung von Zeit und Raum erwächst die Materie, d. i.
die Möglichkeit des Zugleichseins und dadurch der Dauer, durch diese
wieder des Beharrens der Substanz bei der Veränderung der Zustände.
Im Verein von Zeit und Raum ihr Wesen habend, trägt die Materie
durchweg das Gepräge von beiden. Sie beurkundet ihren Ursprung
aus dem Raum, teils durch die Form, die von ihr unzertrennlich ist,
besonders aber durch ihr Beharren (Substanz); ihren Ursprung aus
der Zeit aber offenbart sie an der Qualität (Akzidenz), ohne die sie
nie erscheint, und welche schlechthin immer Kausalität, Wirken auf andere
Materie, also Veränderung (ein Zeitbegriff), ist. Die Gesetzmäßigkeit
dieses Wirkens aber bezieht sich immer auf Raum und Zeit
zugleich. Was für ein Zustand zu dieser Zeit an diesem Ort
eintreten muss, ist die Bestimmung, auf welche ganz allein die Gesetzgebung
der Kausalität sich erstreckt. Auf dieser Ableitung der Grundbestimmungen
der Materie aus den uns
a priori bewussten Formen
unserer Erkenntnis beruht es, dass wir ihr gewisse Eigenschaften
a priori
zuerkennen, nämlich Raumerfüllung, d. i. Undurchdringlichkeit, d. i.
Wirksamkeit, sodann Ausdehnung, unendliche Teilbarkeit, Beharrlichkeit,
d. h. Unzerstörbarkeit, und endlich Beweglichkeit. Hingegen ist die
Schwere, ihrer Ausnahmslosigkeit ungeachtet, doch wohl der Erkenntnis
a posteriori beizuzählen. (
W. I, 10—13. 561; II, 350 und II, 55,
Tafel der
Praedicabilia a priori der Materie.
G. 43 fg.)
2) Die Materie im Verhältnis zum Ding an sich.
Die Materie ist Dasjenige, wodurch der Wille, der das innere
Wesen der Dinge ausmacht, in die Wahrnehmbarkeit tritt, anschaulich,
sichtbar wird. In diesem Sinne ist also die Materie die bloße
Sichtbarkeit des Willens, oder das Band der Welt als Wille mit
der Welt als Vorstellung. Dieser gehört sie an, sofern sie das Produkt
der Funktionen des Intellekts ist, jener, sofern das in allen
materiellen Wesen, d. i. Erscheinungen sich Manifestierende der Wille
ist. Daher ist jedes Objekt als Ding an sich Wille, und als Erscheinung
Materie. Könnten wir eine gegebene Materie von allen ihr
a priori zukommenden Eigenschaften, d. h. von allen Formen unserer
Anschauung und Apprehension entkleiden; so würden wir das Ding an
sich übrig behalten, nämlich Dasjenige, was, mittelst jener Formen,
als das rein Empirische an der Materie auftritt, welche selbst aber
alsdann nicht mehr als ein Ausgedehntes und Wirkendes erscheinen
würde; d. h. wir würden keine Materie mehr vor uns haben, sondern
den Willen, das Ding an sich. Eben dieses tritt, indem es zur Erscheinung
wird, d. h. in die Formen unseres Intellekts eingeht, als die
Materie auf, d. h. als der selbst unsichtbare, aber notwendig vorausgesetzte
Träger nur durch ihn sichtbarer Eigenschaften; in diesem
Sinn also ist die Materie die Sichtbarkeit des Willens. Alle bestimmte
Eigenschaft, also alles Empirische an der Materie, beruht auf
Dem, was nur mittelst der Materie sichtbar wird, auf dem Ding
an sich, dem Willen. Die Materie ist demzufolge der Wille selbst,
aber nicht mehr an sich, sondern sofern er angeschaut wird, d. h.
die Form der objektiven Vorstellung annimmt. Also was objektiv
Materie ist, ist subjektiv Wille. Die Materie gibt alle Beziehungen
und Eigenschaften des Willens im zeitlichen Bilde wieder. Sie ist der
Stoff der anschaulichen Welt, wie der Wille das Wesen an sich aller
Dinge ist. Die Gestalten sind unzählig, die Materie ist Eine, eben
wie der Wille Einer ist in allen seinen Objektivationen. Wie der
Wille sich nie als Allgemeines, d. h. als Wille schlechthin, sondern
stets als Besonderes, d. h. unter speziellen Bestimmungen und gegebenem
Charakter, objektiviert, so erscheint die Materie nie als solche,
sondern stets in Verbindung mit irgend einer Form und Qualität.
Wie der Wille der innerste Kern aller erscheinenden Wesen ist; so ist
sie die Substanz, welche nach Aufhebung aller Akzidenzien übrig bleibt.
Wie der Wille das schlechthin Unzerstörbare in allem Daseienden ist;
so ist die Materie das in der Zeit Unvergängliche, welches unter allen
Veränderungen beharrt. (
W. II, 349—351.)
3) Verhältnis der Materie zur Form.
(S.
Form.)
4) Verhältnis der Materie zur Idee und ihrer Erscheinung.
Die Materie als solche kann nicht Darstellung einer Idee sein.
Denn sie ist durch und durch Kausalität, Kausalität aber ist Gestaltung
des Satzes vom Grunde; Erkenntnis der Idee hingegen schließt
wesentlich den Inhalt jenes Satzes aus. Auch ist die Materie das
gemeinsame Substrat aller einzelnen Erscheinungen der Ideen, folglich
das Verbindungsglied zwischen der Idee und der Erscheinung oder dem
einzelnen Ding. Also aus dem einen sowohl, als aus dem anderen
Grunde kann die Materie für sich keine Idee darstellen. Dagegen muss
andererseits jede Erscheinung einer Idee, da sie als solche eingegangen
ist in die Form des Satzes vom Grunde, oder in das
principium
individuationis an der Materie, als Qualität derselben sich darstellen.
Insofern ist also die Materie das Bindungsglied zwischen der
Idee und dem
principio individuationis. Platon hat daher ganz
richtig neben der Idee und ihrer Erscheinung, dem einzelnen Dinge,
nur noch die Materie als ein Drittes, von beiden Verschiedenes aufgestellt.
(
W. I, 251 fg.)
5) Gegen die Verwechslung von Materie und Stoff.
Unsere heutigen Unwissenden Materialisten verwechseln den Stoff mit
der Materie. Stoff ist die empirisch gegebene, schon in die Hülle der
Formen eingegangene Materie. (
W. II, 33. 52. 352.) Der Stoff
ist die schon qualifizierte Materie, d. h. die Verbindung der Materie
mit der Form, welche sich auch wieder trennen könnten. Das Beharrende
ist allein die Materie, nicht der Stoff, als welcher möglicherweise
immer noch ein anderer werden kann. Es ist daher falsch, von
Unsterblichkeit des Stoffs, wie Büchner tut, statt von Beharrlichkeit
der Materie, zu reden und einen empirischen Beweis für dieselbe
zu geben, während sie doch eine apriorische Wahrheit ist. (
P. II, 61.)
6) Verhältnis des Begriffs Materie
zu dem Begriff Substanz
.
Von dem abstrakten Begriff der Materie ist Substanz wieder eine
Abstraktion, folglich ein höheres
Genus, dadurch entstanden, dass man
von dem Begriff der Materie nur das Prädikat der Beharrlichkeit
stehen ließ, alle ihre übrigen, wesentlichen Eigenschaften, Ausdehnung,
Undurchdringlichkeit, Teilbarkeit u. s. w. aber wegdachte. Wie jedes
höhere
Genus enthält also der Begriff Substanz weniger in sich,
als der Begriff Materie; aber er enthält nicht dafür, wie sonst immer
das höhere
Genus, mehr unter sich, indem er nicht mehrere niedere
genera neben der Materie umfasst; sondern diese bleibt die einzige
wahre Unterart des Begriffes Substanz, das einzige Nachweisbare, wodurch
sein Inhalt realisiert wird und einen Beleg erhält. (
W. I, 582;
II. 347.
P. I, 76.
G. 44.)
7) Kritik des Gegensatzes zwischen Geist und Materie.
(S.
Geist.)