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Schopenhauers Kosmos

 

 Leib.

1) Der Leib als Objekt unter Objekten.

Der Leib ist dem rein erkennenden Subjekt, welches der bedingende Träger der ganzen Welt als Vorstellung ist, eine Vorstellung wie jede andere, ein Objekt unter Objekten. Insofern er der Ausgangspunkt für die Anschauung aller anderen Objekte, also das diese Vermittelnde ist, lässt er sich als das unmittelbare Objekt bezeichnen, welcher Ausdruck jedoch nicht so zu verstehen ist, dass er unmittelbar als Objekt sich darstelle. Denn objektiv, also als Objekt, wird er, wie alle anderen Objekte, allein mittelbar erkannt, indem er, gleich allen anderen Objekten, sich im Verstande, oder Gehirn, als erkannte Ursache subjektiv gegebener Empfindung und eben dadurch objektiv darstellt; welches nur dadurch geschehen kann, dass seine Teile auf seine eigenen Sinne wirken, also das Auge den Leib sieht, die Hand ihn betastet u. s. f., als auf welche Data das Gehirn, oder Verstand (welches Eins ist), auch ihn, gleich anderen Objekten seiner Gestalt und Beschaffenheit nach räumlich konstruiert. (G. 84. W. I, 6. 13. 22—24; II, 7.)

2) Identität des Leibes und Willens.

Dem Subjekt des Erkennens, welches durch seine Identität mit dem Leibe als Individuum auftritt, ist dieser Leib auf zwei ganz verschiedene Weisen gegeben: einmal als Vorstellung in verständiger Anschauung, als Objekt unter Objekten, und den Gesetzen dieser unterworfen; sodann aber auch zugleich auf eine ganz andere Weise, nämlich als jenes Jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille bezeichnet. Jeder wirkliche Akt seines Willens ist sofort und unausbleiblich auch eine Bewegung seines Leibes. Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache und Wirkung; sondern sie sind Eines und das Selbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand. Die Aktion des Leibes ist nichts Anderes, als der objektivierte, d. h. in die Anschauung getretene Akt des Willens. Dieses gilt von jeder Bewegung des Leibes, nicht bloß von der willkürlichen, auf Motive, sondern auch von der unwillkürlichen, auf bloße Reize erfolgenden; ja, der ganze Leib ist nichts Anderes, als der objektivierte, d. h. zur Vorstellung gewordene Wille, oder die Objektität des Willens. (W. I, 119 fg. 126—130; II, 277. 280—300. N. 34—54. P. I, 322. H. 350.)
Die Identität des Leibes und Willens zeigt sich unter anderem auch darin, dass jede heftige und übermäßige Bewegung des Willens, d. h. jeder Affekt, ganz unmittelbar den Leib und dessen inneres Getriebe erschüttert und den Gang seiner vitalen Funktionen stört. (W. I, 121. 128. N. 28. P. II, 618 fg.)
Der Wille ist nicht, wie der Intellekt, eine Funktion des Leibes; sondern der Leib ist seine Funktion; daher ist er diesem ordine rerum vorgängig, als dessen metaphysisches Substrat, als das Ansich der Erscheinung desselben. (W. II, 240.)

3) Verhältnis der physiologischen zu der metaphysischen Erklärung des Leibes.

Von der Entstehung und von der Entwicklung und Erhaltung des Leibes lässt sich zwar auch ätiologisch eine Rechenschaft geben, welche eben die Physiologie ist; allein diese erklärt ihr Thema gerade nur so, wie die Motive das Handeln erklären. So wenig daher die Begründung der einzelnen Handlung durch das Motiv und die notwendige Folge derselben aus diesem damit streitet, dass die Handlung überhaupt und ihrem Wesen nach nur Erscheinung eines an sich selbst grundlosen Willens ist; eben so wenig tut die physiologische Erklärung der Funktionen des Leibes der philosophischen Wahrheit Eintrag, dass das ganze Dasein dieses Leibes und die gesamte Reihe seiner Funktionen nur die Objektivierung eben jenes Willens ist, der in desselben Leibes äußerlichen Aktionen nach Maßgabe der Motive erscheint. (W. I, 128 fg. Vergl. auch Ätiologie.)

4) Worauf die Zweckmäßigkeit des Leibes beruht.

Darauf, dass der Leib nichts Anderes ist, als die Erscheinung des Willens, die Sichtbarwerdung, Objektität des Willens, beruht die vollkommene Angemessenheit des menschlichen und tierischen Leibes zum menschlichen und tierischen Willen überhaupt, derjenigen ähnlich, aber sie weit übertreffend, die ein absichtlich verfertigtes Werkzeug zum Willen des Verfertigers hat, und dieserhalb erscheinend als Zweckmäßigkeit, d. i. die teleologische Erklärbarkeit des Leibes. Die Teile des Leibes müssen deshalb den Hauptbegehrungen, durch welche der Wille sich manifestiert, vollkommen entsprechen, müssen der sichtbare Ausdruck derselben sein. Zähne, Schlund und Darmkanal sind der objektivierte Hunger; die Genitalien der objektivierte Geschlechtstrieb; die greifenden Hände, die raschen Füße entsprechen dem schon mehr mittelbaren Streben des Willens, welches sie darstellen. Wie die allgemein menschliche Form dem allgemein menschlichen Willen, so entspricht dem individuell modifizierten Willen, dem Charakter des Einzelnen, die individuelle Korporisation, welche daher durchaus und in allen Teilen charakteristisch und ausdrucksvoll ist. (W. I, 129 fg. H. 350.)

5) Die Erkenntnis unseres eigenen Leibes als Schlüssel zur Erkenntnis des Wesens der Dinge.

Die doppelte, auf zwei völlig heterogene Weisen gegebene Erkenntnis, welche wir vom Wesen und Wirken unseres eigenen Leibes haben, ist der Schlüssel zur Erkenntnis des Wesens jeder Erscheinung in der Natur, da alle Objekte, die nicht unser eigener Leib, daher nicht auf doppelte Weise, sondern allein als Vorstellungen unserm Bewusstsein gegeben sind, eben nach Analogie jenes Leibes zu beurteilen sind und daher anzunehmen ist, dass, wie sie einerseits, ganz so wie er, Vorstellung und darin mit ihm gleichartig sind, auch andererseits, wenn man Ihr Dasein als Vorstellung des Subjekts bei Seite setzt, das dann noch übrig Bleibende seinem ganzen Wesen nach das selbe sein muss, als was wir an uns Wille nennen. (W. I, 125. 130 fg. N. 93.)

6) Kritik des Gegensatzes zwischen Leib und Seele als zweier grundverschiedener Substanzen.

(S. Seele.)