1) Wesen und Wirkung der Hoffnung.
Die Hoffnung ist ein Affekt, in ihr übt daher, wie in allen
Affekten, der Wille einen verfälschenden Einfluss auf den Intellekt.
Die Hoffnung lässt uns Das, was wir wünschen, so wie die Furcht
Das, was wir besorgen, als wahrscheinlich und nahe erblicken, und
beide vergrößern ihren Gegenstand. Plato hat sehr schön die Hoffnung
den Traum des Wachenden genannt. Ihr Wesen liegt darin, dass der
Wille seinen Diener, den Intellekt, wenn dieser nicht vermag, das
Gewünschte herbeizuschaffen, nötigt, es ihm wenigstens vorzumalen,
überhaupt die Rolle des Trösters zu übernehmen, seinen Herrn, wie
die Amme das Kind, mit Märchen zu beschwichtigen und diese aufzustutzen,
dass sie Schein gewinnen; wobei nun der Intellekt seiner
eigenen Natur, die auf Wahrheit gerichtet ist, Gewalt antun muss.
(
W. II, 242 fg.) Hoffnung ist die Verwechslung des Wunsches einer
Begebenheit mit ihrer Wahrscheinlichkeit. (
P. II, 622.)
2) Allgemeine Herrschaft der Hoffnung.
Vielleicht ist kein Mensch frei von der Narrheit des Herzens, welche
dem Intellekt die richtige Schätzung der Probabilität so sehr verrückt,
dass er Eins gegen Tausend für einen leicht möglichen Fall hält. Und
doch gleicht ein hoffnungsloser Unglücksfall einem raschen Todesstreich,
hingegen die stets vereitelte und immer wieder auflebende Hoffnung der
langsam marternden Todesart. (
P. II, 622.)
3) Abhängigkeit des guten oder schlimmen Standes
der Hoffnung von dem Verhältnis ihrer beiden Faktoren.
Die Hoffnung ist ein Zustand, zu welchem unser ganzes Wesen,
nämlich Wille und Intellekt konkurriert; jener, indem er den Gegenstand
derselben wünscht, dieser, indem er ihn als wahrscheinlich berechnet.
Je größer der Anteil des letzteren Faktors und je kleiner der des
ersteren ist, desto besser steht es um die Hoffnung; im umgekehrten Fall
desto schlimmer. (
P. II, 622, Anmerk.)