Heilsordnung.
Der Zweck unseres Daseins kann nicht, wie der Optimismus annimmt,
der sein, glücklich zu sein, da sich dem unbefangenen Blick das
Leben darstellt wie ganz eigentlich darauf abgesehen, dass wir uns
nicht glücklich darin fühlen sollen. Der Zweck des Lebens kann auch
nicht ganz allein und unmittelbar in den moralischen Tugenden, also
in der Ausübung der Gerechtigkeit und Menschenliebe liegen. Vielmehr
ist der Zweck des Lebens Läuterung, Wendung des Willens, Erlösung
von dem sündhaften, die traurige Beschaffenheit dieser Welt herbei
führenden Wollen. Zu diesem Zweck sind Leiden und Tod wie berechnet.
Das Leben ist vom Leiden unzertrennlich; ein Anstrich von Absichtlichkeit
ist hierin nicht zu verkennen. Das Leiden ist der Läuterungsprozess,
durch welchen allein in den meisten Fällen der Mensch geheiligt,
d. h. von dem Irrweg des Willens zum Leben zurückgeführt wird.
In noch höherem Grade kommt dem mehr als alles Leiden gefürchteten
Tode die heiligende Kraft zu. Bei dem naturgemäßen Verlauf kommt
im Alter das Absterben des Leibes dem Absterben des Willens
entgegen.
Setzt man also den Zweck des Daseins in die gänzliche Umkehrung
unseres Wesens, so ist damit der Verlauf des Lebens, das Leiden und
schließlich der Tod in Übereinstimmung. Das Leben stellt sich alsdann
dar als ein Läuterungsprozess, dessen reinigende Lauge der Schmerz
ist. Ist der Prozess vollbracht, so lässt er die ihm vorhergegangene
Immoralität und Schlechtigkeit als Schlacke zurück. (W. II, 726—733.)