1) Das innere Wesen der Heiligkeit.
Das innere Wesen der Heiligkeit, abstrakt und rein von allem
Mythischen ausgesprochen, ist Verneinung des Willens zum Leben,
eintretend, nachdem ihm die vollendete (intuitive) Erkenntnis
seines eigenen Wesens zum Quietiv alles Wollens geworden.
(
W. I, 452 fg.)
2) Unabhängigkeit der Heiligkeit von Dogmen und
abstrakten Systemen.
Unter den verschiedensten Glaubensgenossen finden sich Heilige. So
sehr verschiedene Dogmen auch ihrer Vernunft eingeprägt waren, sprach
dennoch sich die innere, unmittelbare, intuitive Erkenntnis, von welcher
allein alle Tugend und Heiligkeit ausgehen kann, auf die gleiche und
nämliche Weise durch den Lebenswandel aus. (
W. I, 452.) Bei
gleicher innerer Erkenntnis führten die Heiligen verschiedener Nationen
eine sehr verschiedene Sprache, gemäß den Dogmen, die sie einmal in
ihre Vernunft aufgenommen hatten und welchen zufolge ein Indischer
Heiliger, ein Christlicher, ein Lamaischer, von seinem eigenen Thun,
jeder sehr verschiedene Rechenschaft geben muss, was aber für die Sache
ganz gleichgültig ist. Ein Heiliger kann voll des absurdesten Aberglaubens
sein, oder er kann umgekehrt ein Philosoph sein; beides gilt
gleich. Sein Tun allein bekundet ihn als Heiligen; denn es geht, in
moralischer Hinsicht, nicht aus der abstrakten, sondern aus der intuitiv
aufgefassten unmittelbaren Erkenntnis der Welt und ihres Wesens
hervor, und wird von ihm nur zur Befriedigung seiner Vernunft durch
irgend ein Dogma ausgelegt. Es ist daher so wenig nötig, dass der
Heilige ein Philosoph, als dass der Philosoph ein Heiliger sei; so wie
es nicht nötig ist, dass ein vollkommen schöner Mensch ein Bildhauer,
oder dass ein großer Bildhauer auch selbst ein schöner Mensch sei.
(
W. I, 453 fg. 466.)