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Schopenhauers Kosmos

 

 Stil.

1) Der Stil als die Physiognomie des Geistes.

Der Stil ist die Physiognomie des Geistes. Sie ist untrüglicher, als die des Leibes. (P. II, 550. W. I, 529.) Von dem Wie des Denkens, von der wesentlichen Beschaffenheit und durchgängigen Qualität desselben ist ein genauer Abdruck der Stil. Dieser zeigt nämlich die formelle Beschaffenheit aller Gedanken eines Menschen, welche sich stets gleich bleiben muss, was und worüber er auch denken möge. Man hat daran gleichsam den Teig, aus dem er alle seine Gestalten knetet, so verschieden sie auch sein mögen. (P. II, 550.) An dem Stil erkennt man sofort den Unterschied der großen Köpfe von den gewöhnlichen. Darum sagte Büffon: le style est l'homme même. (W. II, 78. P. II, 551—565.) Der Stil ist der bloße Schattenriss des Gedankens; undeutlich, oder schlecht schreiben heißt dumpf, oder konfus denken. (P. II, 553.)

2) Gegensatz zwischen dem Stil der Alltagsköpfe und dem der überlegenen Geister.

Im stillen Bewusstsein davon, dass der Stil ein genauer Abdruck der Qualität des Denkens ist, sucht jeder Mediokre seinen ihm eigenen und natürlichen Stil zu maskieren. Dies nötigt ihn zunächst, auf alle Naivität zu verzichten; wodurch diese das Vorrecht der überlegenen und sich selbst fühlenden, daher mit Sicherheit auftretenden Geister bleibt. Jene Alltagsköpfe streben nach dem Schein, viel mehr und tiefer gedacht zu haben, als der Fall ist. Sie bringen demnach, was sie zu sagen haben, in gezwungenen, schwierigen Wendungen, neu geschaffenen Wörtern und weitläufigen, um den Gedanken herumgehenden und ihn verhüllenden Perioden vor. Sie schwanken zwischen dem Bestreben, denselben mitzuteilen, und dem, ihn zu verstecken. Hingegen sehen wir jeden wirklichen Denker bemüht, seine Gedanken so rein, deutlich, sicher und kurz, wie nur möglich, auszusprechen. Demgemäß ist Simplizität stets ein Merkmal nicht allein der Wahrheit, sondern auch des Genies gewesen. Der Stil erhält die Schönheit vom Gedanken, statt dass bei jenen Scheindenkern die Gedanken durch den Stil schön werden sollen. (P. II, 551—553. Vergl. auch unter Schriftsteller: Erklärung der Geistlosigkeit und Langweiligkeit der Schriften der Alltagsköpfe.)

3) Besonders zu tadelnde Stilfehler.

a) Nachahmung und Affektation.

Fremden Stil nachahmen heißt eine Maske tragen. Wäre diese auch noch so schön, so wird sie durch das Leblose bald insipid und unerträglich, so dass selbst das hässlichste lebendige Gesicht besser ist. — Affektation im Stil ist dem Gesichterschneiden zu vergleichen. (P. II, 550.)

b) Schwerfälligkeit und Preziosität.

Der schwerfällige Stil, style empesé (für den man im Deutschen keinen genau entsprechenden Ausdruck, desto häufiger aber die Sache selbst findet) ist, wenn mit Preziosität verbunden, in Büchern das, was im Umgang die affektierte Gravität, Vornehmheit und Preziosität, und ebenso unerträglich. Die Geistesarmut kleidet sich gern darein; wie im Leben die Dummheit in die Gravität und Formalität. (P. II, 557. 578.)
Wer preziös schreibt, gleicht Dem, der sich herausputzt, um nicht mit dem Pöbel verwechselt und vermengt zu werden, eine Gefahr, welche der Gentleman auch im schlechtesten Anzug nicht läuft. Wie man daher an einer gewissen Kleiderpracht und dem tiré à quatre épingles den Plebejer erkennt, so am preziösen Stil den Alltagskopf. (P. II, 557.)

c) Nachlässigkeit.

Wer nachlässig schreibt, legt dadurch zunächst das Bekenntnis ab, dass er selbst seinen Gedanken keinen großen Wert beilegt. Sodann aber auch, wie Vernachlässigung des Anzugs Geringschätzung der Gesellschaft, in die man tritt, verrät, so bezeugt flüchtiger, nachlässiger, schlechter Stil eine beleidigende Geringschätzung des Lesers. (P. II, 576.)

d) Subjektivität.

Die Subjektivität des Stils, ein Fehler, der heut zu Tage bei dem gesunkenen Zustande der Literatur und der Vernachlässigung der alten Sprachen immer häufiger wird, jedoch nur in Deutschland einheimisch ist, besteht darin, dass es dem Schreiber genügt, selbst zu wissen, was er meint und will. Unbekümmert um den Leser schreibt er eben, als ob er einen Monolog hielte, während es denn doch ein Dialog sein sollte und zwar einer, in welchem man sich um so deutlicher auszudrücken hat, als man die Fragen des Anderen nicht vernimmt. Eben deshalb nun also soll der Stil nicht subjektiv, sondern objektiv sein; wozu es nötig ist, die Worte so zu stellen, dass sie den Leser geradezu zwingen, genau das Selbe zu denken, was der Autor gedacht hat. (P. II, 575.)

4) Regeln des guten Stils.

Die erste, ja schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils ist diese, dass man etwas zu sagen habe; damit kommt man weit. (P. II, 553.)
Am preziösen Stil erkennt man den Alltagskopf. Nichtsdestoweniger ist es ein falsches Bestreben, geradezu so schreiben zu wollen, wie man redet. Vielmehr soll jeder Schriftsteller eine gewisse Spur der Verwandtschaft mit dem Lapidarstil tragen, der ja ihrer Aller Ahnherr ist. Jenes ist daher so verwerflich, wie das umgekehrte, nämlich reden zu wollen, wie man schreibt. (P. II, 557.)
Man soll sich nicht rätselhaft ausdrücken, sondern wissen, ob man eine Sache sagen will oder nicht. Die Unentschiedenheit des Ausdrucks macht deutsche Schriftsteller so ungenießbar. Eine Ausnahme gestatten allein die Fälle, wo man etwas in irgend einer Hinsicht Unerlaubtes mitzuteilen hat. (P. II, 558.)
Wie jedes Übermaß einer Einwirkung meistens das Gegenteil des Bezweckten herbeiführt; so dienen zwar Worte, Gedanken fasslich zu machen, jedoch auch nur bis zu einem gewissen Punkte. Über diesen hinaus angehäuft, machen sie die mitgeteilten Gedanken wieder dunkler und immer dunkler. Jenen Punkt zu treffen ist Aufgabe des Stils und Sache der Urteilskraft, denn jedes überflüssige Wort wirkt seinem Zwecke gerade entgegen. (P. II, 558.)
Demgemäß vermeide man alle Weitschweifigkeit und alles Einflechten unbedeutender, der Mühe des Lesens nicht lohnender Bemerkungen. Immer noch besser, etwas Gutes wegzulassen, als etwas Nichtssagendes hinzusetzen. Überhaupt nicht Alles sagen! Also, wo möglich, lauter Quintessenzen, lauter Hauptsachen, nichts, was der Leser auch allein denken würde. (P. II, 558.)
Man befleißige sich eines keuschen Stils, hüte sich also vor allen unnützen Amplifikationen, allem nicht notwendigen rhetorischen Schmuck. Alles Entbehrliche wirkt nachteilig. (P. II, 559. Vergl. unter Naivität: Naivität in den redenden Künsten.)
Die echte Kürze des Ausdrucks besteht darin, dass man überall nur sagt, was sagenswert ist, hingegen alle weitschweifigen Auseinandersetzungen Dessen, was Jeder selbst hinzudenken kann, vermeidet, mit richtiger Unterscheidung des Nötigen und Überflüssigen. Hingegen soll man nie der Kürze die Deutlichkeit, geschweige die Grammatik zum Opfer bringen. Den Ausdruck eines Gedankens schwächen, oder gar den Sinn einer Periode verdunkeln, oder verkümmern, um einige Worte weniger hinzusetzen, ist beklagenswerter Unverstand. (P. II 559—575.)
Der leitende Grundsatz der Stilistik sollte sein, dass der Mensch nur einen Gedanken zur Zeit deutlich denken kann, daher ihm nicht zugemutet werden darf, dass er deren zwei, oder gar mehrere auf einmal denke. Dies aber mutet ihm Der zu, welcher solche als Zwischensätze in die Lücken einer zu diesem Zweck zerstückelten Hauptperiode schiebt. Durch lange, mit in einander geschachtelten Zwischensätzen bereicherte Perioden wird eigentlich zunächst das Gedächtnis in Anspruch genommen; während vielmehr Verstand und Urteilskraft aufgerufen werden sollten, deren Tätigkeit nun aber gerade durch jene Perioden erschwert und geschwächt wird. (P. II, 577—580.)
Analytische Urteile sollen im guten Vortrage nicht vorkommen, weil sie sich einfältig ausnehmen. Sie sind nur da zu gebrauchen, wo eine Erklärung, oder Definition gegeben werden soll. (P. II, 580.)
Gleichnisse sind von großem Werte, sofern sie ein unbekanntes Verhältnis auf ein bekanntes zurückführen. (P. II, 580. Vergl. auch Gleichnis.)