rel='stylesheet' type='text/css'>
Schopenhauers Kosmos

 

 Seele.

1) Geschichtliches.

Der rationalen Psychologie zufolge ist der Mensch aus zwei völlig heterogenen Substanzen zusammengesetzt, aus dem materiellen Leibe und der immateriellen Seele. Die Seele ist ihr zufolge ein ursprünglich und wesentlich erkennendes und erst in Folge davon auch ein wollendes Wesen. Je nachdem sie nun in diesen ihren Grundtätigkeiten rein für sich und unvermischt mit dem Leibe, oder aber in Verbindung mit diesem zu Werke geht, hat sie ein höheres und niederes Erkenntnis- und ebenso ein dergleichen Willens-Vermögen. Diese ganze erst von Cartesius recht systematisch dargestellte Ansicht ist schon bei Aristoteles zu finden (de anima I, 1). Vorbereitet und angedeutet hat sie sogar schon Plato im Phädon. Hingegen in Folge der Cartesischen Systematisierung und Konsolidation derselben finden wir sie hundert Jahre später ganz dreist geworden, auf die Spitze gestellt und gerade dadurch der Enttäuschung entgegengeführt. (E. 152—154. P. I, 47 fg. W. II, 312 fg.)
Seit Sokrates Zeit und bis auf die unsrige bildet die Seele, dieses ens rationis, einen Hauptgegenstand des unaufhörlichen Disputierens der Philosophen. Die Seele wurde von Allen und vor Allem als schlechthin einfach genommen; denn gerade hieraus wurde ihr metaphysisches Wesen, ihre Immaterialität und Unsterblichkeit bewiesen; obgleich diese gar nicht ein Mal notwendig daraus folgt. Diese vorausgesetzte Einfachheit nun unseres subjektiv bewussten Wesens, oder des Ichs, hebt Schopenhauers Welt als Wille und Vorstellung auf, indem sie nachweist, dass die Äußerungen, aus welchen man dieselbe folgerte, zwei sehr verschiedene Quellen haben, und dass allerdings der Intellekt physisch bedingt, die Funktion eines materiellen Organs, daher von diesem abhängig sei und das Schicksal desselben teile, — dass hingegen der Wille an kein spezielles Organ gebunden, sondern das eigentlich Bewegende und Bildende, mithin das Bedingende des ganzen Organismus sei, also das metaphysische Substrat der ganzen Erscheinung ausmache. (W. II, 305 fg. Vergl. Ich.)
Die (dem Schopenhauerschen System eigentümliche) Zersetzung des so lange unteilbar gewesenen Ichs oder Seele in zwei heterogene Bestandteile (Intellekt und Wille) ist für die Philosophie Das, was die Zersetzung des Wassers für die Chemie gewesen ist. Das Ewige und Unzerstörbare im Menschen, welches daher auch das Lebensprinzip in ihm ausmacht, ist diesem System zufolge nicht die Seele, sondern, um es mit einem chemischen Ausdruck zu bezeichnen, das Radikal der Seele, der Wille. Die sogenannte Seele ist schon zusammengesetzt, sie ist die Verbindung des Willens mit dem νους, Intellekt. Dieser ist das Sekundäre, das posterius des Organismus, der Wille hingegen das Primäre, das prius desselben. (N. 20.)

2) Kritik des Gegensatzes zwischen Leib und Seele als zweier grundverschiedener Substanzen.

Der Gegensatz, welcher Anlass zur Annahme zweier grundverschiedener Substanzen, Leib und Seele, gegeben hat, ist in Wahrheit der des Objektiven und Subjektiven. Fasst der Mensch sich in der äußern Anschauung objektiv auf, so findet er ein räumlich ausgedehntes und überhaupt durchaus körperliches Wesen; fasst er hingegen sich im bloßen Selbstbewusstsein, also rein subjektiv auf, so findet er ein bloß Wollendes und Vorstellendes, frei von allen Formen der Anschauung, also auch ohne irgendeine der den Körpern zukommenden Eigenschaften. Jetzt bildet er den Begriff der Seele dadurch, dass er den Satz vom Grunde, die Form alles Objekts, auf Das anwendet, was nicht Objekt ist, und zwar hier auf das Subjekt des Erkennens und Wollens. Er betrachtet nämlich Erkennen, Denken und Wollen als Wirkungen, und weil er als deren Ursache den Leib nicht annehmen kann, setzt er eine vom Leibe gänzlich verschiedene Ursache derselben, die Seele, die er sodann hypostasiert. Auf diese Weise beweist der erste und letzte Dogmatiker das Dasein der Seele. Erst nachdem auf diese Weise der Begriff der Seele als eines immateriellen, einfachen, unzerstörbaren Wesens entstanden war, entwickelte und demonstrierte diesen die Schule aus dem Begriff Substanz, aber durch eine Erschleichung. (W. I, 581—583. P. I, 82. 110.)
Physisch ist freilich Alles, aber auch nichts erklärbar. Wie für die Bewegung der gestoßenen Kugel, muss auch zuletzt für das Denken des Gehirns eine physische Erklärung an sich möglich sein, die dieses ebenso begreiflich machte, als jene es ist. Aber eben jene, die wir vollkommen zu verstehen wähnen, ist uns im Grunde so dunkel, wie Letzteres; denn was das innere Wesen der Expansion im Raum, der Undurchdringlichkeit, Härte, Elastizität, Schwere sei, bleibt nach allen physikalischen Erklärungen ein Mysterium, so gut wie das Denken. Weil aber bei Diesem das Unerklärbare am unmittelbarsten hervortritt, machte man hier sogleich einen Sprung aus der Physik in die Metaphysik und hypostasierte eine Substanz ganz anderer Art, als alles Körperliche, versetzte ins Gehirn eine Seele. Wäre man jedoch nicht so stumpf gewesen, nur durch die auffallendste Erscheinung frappiert werden zu können; so hätte man die Verdauung durch eine Seele im Magen, die Vegetation durch eine Seele in der Pflanze, die Wahlverwandtschaft durch eine Seele in den Reagenzien, ja, das Fallen des Steines durch eine Seele in diesem erklären müssen. Denn überall stößt die physische Erklärung auf ein Metaphysisches. (W. II, 193. 309. Vergl. Leib und Geist.)

3) In welcher Bedeutung das Wort Seele gebraucht werden sollte.

Der Begriff Seele ist, weil er Erkennen und Wollen in unzertrennlicher Verbindung und dabei doch unabhängig vom animalischen Organismus hypostasiert, nicht zu rechtfertigen, also nicht zu gebrauchen. Das Wort sollte daher nie anders, als in tropischer Bedeutung angewendet werden; denn es ist keineswegs so unverfänglich, wie φυχη oder anima, als welche Atem bedeuten. (W. II, 399.)

4) Ein Motiv, welches zur Annahme der Seele geführt hat.

Das auffallende Phänomen, dass alle Philosophen (vor Schopenhauer) im Punkte der Seele geirrt, ja, die Wahrheit auf den Kopf gestellt haben, möchte, zumal bei denen der christlichen Jahrhunderte, zum Teil daraus zu erklären sein, dass sie sämtlich die Absicht hatten, den Menschen als vom Tiere möglichst weit verschieden darzustellen, dabei jedoch dunkel fühlten, dass die Verschiedenheit Beider im Intellekt liegt, nicht im Willen; woraus ihnen unbewusst die Neigung hervorging, den Intellekt zum Wesentlichen und zur Hauptsache zu machen, ja, das Wollen als eine bloße Funktion des Intellekts darzustellen. (W. II, 223.)

5) Theoretische und praktische Folgen des Wahns von einer einfachen, immateriellen Seele.

Der tieferen Einsicht in die Natur waren die drei von Kant kritisierten Ideen der Vernunft hinderlich. Die sogenannte Vernunft-Idee der Seele, dieses metaphysischen Wesens, in dessen absoluter Einfachheit Erkennen und Wollen ewig unzertrennlich Eins, verbunden und verschmolzen waren, ließ keine philosophische Physiologie zu Stande kommen; um so weniger, als mit ihr zugleich auch ihr Korrelat, die reale und rein passive Materie, als Stoff des Leibes, notwendig gesetzt werden musste. Jene Vernunft-Idee der Seele war Schuld, dass am Anfange des vorigen Jahrhunderts der berühmte Chemiker und Physiologe G. E. Stahl die Wahrheit verfehlen musste. (N. 18 fg. W. II, 301.)
Der uralte und ausnahmslose Grundirrtum, dass das Ich oder dessen transzendente Hypostase, genannt Seele, zunächst und wesentlich erkennend, ja denkend, und erst in Folge hiervon, sekundärer und abgeleiteter Weise, wollend sei, dieses enorme υστερον προτερον, ist aus der Philosophie, um zur wahren Ansicht zu gelangen, vor allen Dingen zu beseitigen. Der Begriff der Seele ist nicht nur, wie durch die Kritik der reinen Vernunft feststeht, als transzendente Hypostase unstatthaft, sondern er wird zur Quelle unheilbarer Irrtümer dadurch, dass er in seiner einfachen Substanz eine unteilbare Einheit der Erkenntnis und des Willens vorweg feststellt, deren Trennung gerade der Weg zur Wahrheit ist. Die nächste, sehr unbequeme Folge jenes Grundirrtums ist für die noch in ihm befangenen Philosophen diese: da im Tode das erkennende Bewusstsein augenfällig untergeht; so müssen sie entweder den Tod als Vernichtung des Menschen gelten lassen, wogegen unser Inneres sich auflehnt, oder sie müssen zu der Annahme einer Fortdauer des erkennenden Bewusstseins greifen, zu welcher ein starker Glaube gehört, da Jedem seine eigene Erfahrung die durchgängige und gänzliche Abhängigkeit des erkennenden Bewusstseins vom Gehirn sattsam bewiesen hat. Aus diesem Dilemma führt allein die das eigentliche Wesen des Menschen nicht in das Bewusstsein, sondern in den Willen setzende Philosophie. (W. II, 222 fg.)
Der Wahn von einer immateriellen, einfachen, wesentlich und immer denkenden, folglich unermüdlichen Seele, die da im Gehirn bloß logierte und nichts auf der Welt bedürfte, hat gewiss Manchen zu unsinnigem Verfahren und Abstumpfung seiner Geisteskräfte verleitet; wie denn Friedrich der Große ein Mal versucht hat, sich das Schlafen ganz abzugewöhnen. (P. I, 471. Vergl. unter Gehirn: Verhaltensregel in Bezug auf die Anstrengung des Gehirns.)