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Schopenhauers Kosmos

 

 Kraft.

1) Unterschied zwischen Kraft und Ursache.

In Folge der zu weiten Fassung des Begriffes Ursache hat man mit demselben den Begriff der Kraft verwechselt, diese, von der Ursache völlig verschieden, ist jedoch Das, was jeder Ursache ihre Kausalität, d. h. die Möglichkeit zu wirken erteilt. Es ist unmöglich, mit seinem Denken im Klaren zu sein, so lange darin Kraft und Ursache nicht als völlig verschieden deutlich erkannt werden. (W. II, 51.) Die Kräfte sind Das, vermöge dessen die Veränderungen, oder Wirkungen, überhaupt möglich sind, Das, was den Ursachen die Kausalität, d. h. die Fähigkeit zu wirken, allererst erteilt, von welchem sie also diese bloß zur Lehn haben. Ursache und Wirkung sind die zu notwendiger Sukzession in der Zeit verknüpften Veränderungen; die Naturkräfte hingegen, vermöge welcher alle Ursachen wirken, sind von allem Wechsel ausgenommen, daher in diesem Sinne außer aller Zeit, eben deshalb aber stets und überall vorhanden, allgegenwärtig und unerschöpflich, immer bereit, sich zu äußern, sobald nur, am Leitfaden der Kausalität, die Gelegenheit dazu eintritt. Die Ursache ist allemal, wie auch ihre Wirkung, ein Einzelnes, eine einzelne Veränderung; die Naturkraft hingegen ist ein Allgemeines, Unveränderliches, zu aller Zeit und überall Vorhandenes. (G. 45. W. I, 157—163.) Die Kraft ist die notwendige Voraussetzung aller ätiologischen Erklärung. (W. I, 133. Vergl. auch Ätiologie.)
Ursache sowohl als Wirkung ist Zustand von Materie. Kraft ist Ursache, sofern sie unbekannt ist, d. h. nicht weiter als Wirkung einer anderen Ursache erklärt werden kann. (H. 122.)

2) Unzertrennlichkeit von Kraft und Stoff.

Weil die Materie die Sichtbarkeit des Willens, jede Kraft aber an sich selbst Wille ist, kann keine Kraft ohne materielles Substrat auftreten, und umgekehrt kein Körper ohne ihm innewohnende Kräfte sein, die eben seine Qualität ausmachen. Kraft und Stoff sind unzertrennlich, weil sie im Grunde Eines sind; da, wie Kant dargetan hat, die Materie selbst uns nur als der Verein zweier Kräfte, der Expansions- und Attraktionskraft gegeben ist. (W. II, 351 fg.) Da jede Naturkraft Erscheinung des Willens und die Materie die Sichtbarkeit des Willens ist; so folgt, dass keine Kraft ohne materielles Substrat auftreten, mithin auch keine Kraftäußerung ohne irgendeine materielle Veränderung vor sich gehen kann. Dies stimmt zu der Behauptung des Zoochemikers Liebig, dass jede Muskelaktion, ja jeder Gedanke im Gehirn, von einer chemischen Stoffumsetzung begleitet sein müsse. (P. II, 114.)

3) Bedeutung des Ausdrucks lebendige Kraft.

Erst in der Bewegung wird die Kraft der Materie gleichsam lebendig; daher der Ausdruck lebendige Kraft für die Kraftäußerung der bewegten Materie. (W. II, 59.)

4) Zurückführung der Kraft auf Wille.

Der Wille ist es, der in der erkenntnislosen Natur sich darstellt als Naturkraft, höher hinauf als Lebenskraft, in Tier und Mensch aber den Namen Willen erhält. (P. II, 98.) Bisher subsumierte man den Begriff Wille unter den Begriff Kraft, es ist aber gerade umgekehrt jede Kraft als Wille zu denken. Die Zurückführung der Kraft auf Wille ist von größter Wichtigkeit. Denn der Begriff Wille ist der einzige, welcher seinen Ursprung nicht in der Erscheinung, nicht in bloßer anschaulicher Vorstellung hat, sondern aus dem Inneren kommt, aus dem unmittelbarsten Bewusstsein eines Jeden hervorgeht. Führen wir daher den Begriff der Kraft auf den des Willens zurück, so haben wir in der Tat ein Unbekannteres auf ein unendlich Bekannteres, ja auf das einzige uns unmittelbar und ganz Bekannte zurückgeführt und unsere Erkenntnis um ein Großes erweitert. Subsumieren wir hingegen, wie bisher geschah, den Begriff Wille unter den der Kraft; so begeben wir uns der einzigen unmittelbaren Erkenntnis, die wir vom inneren Wesen der Welt haben, indem wir sie untergehen lassen in einen aus der Erscheinung abstrahierten Begriff, mit welchem wir daher nie über die Erscheinung hinauskönnen. (W. I, 133.)