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Schopenhauers Kosmos

 

 Intellekt.

I. Der reine Intellekt.

Die Welt als Vorstellung, die objektive Welt, hat gleichsam zwei Kugel-Pole: nämlich das erkennende Subjekt schlechthin, den reinen Intellekt ohne die Formen seines Erkennens, und dann die reine Materie ohne Form und Qualität. Beide sind die Grundbedingungen aller empirischen Anschauung. Beide sind in keiner Erfahrung gegeben, werden aber in jeder vorausgesetzt. Wie das reine Subjekt des Erkennens nicht in der Zeit ist, da die Zeit erst die nähere Form alles Vorstellens ist, so ist dem entsprechend die ihm als Korrelat gegenüberstehende reine Materie ewig unvergänglich, beharrt durch alle Zeit, ist eigentlich nicht ein Mal ausgedehnt, weil Ausdehnung Form gibt, also nicht räumlich. Man kann die Beharrlichkeit der Materie betrachten als den Reflex der Zeitlosigkeit des reinen, schlechthin als Bedingung alles Objekts angenommenen Subjekts. Beide gehören der Erscheinung an, nicht dem Ding an sich; aber sie sind das Grundgerüst der Erscheinung. Beide werden nur durch Abstraktion herausgefunden, sind nicht unmittelbar rein und für sich gegeben. Beide sind Korrelate, d. h. Eines ist nur für das Andere da; beide stehen und fallen mit einander. (W. II, 18.)

II. Der empirische Intellekt.

1) Sekundäre Natur des Intellekts.

Der Wille als Ding an sich macht das innere, wahre und unzerstörbare Wesen des Menschen aus; an sich selbst ist er jedoch bewusstlos. Denn das Bewusstsein ist bedingt durch den Intellekt (Subjekt der Erkenntnis) und dieser ist bloß Akzidenz unseres Wesens; denn er ist eine Funktion des Gehirns, welches, nebst den ihm anhängenden Nerven und Rückenmark, eine bloße Frucht, ein Produkt, ja insofern ein Parasit des übrigen Organismus ist, als es nicht direkt eingreift in dessen inneres Getriebe, sondern dem Zweck der Selbsterhaltung bloß dadurch dient, dass es die Verhältnisse desselben zur Außenwelt reguliert. Der Organismus selbst hingegen ist die Sichtbarkeit, Objektität, des individuellen Willens. Der Intellekt ist also das sekundäre Phänomen, der Organismus das primäre, nämlich die unmittelbare Erscheinung des Willens; — der Wille ist metaphysisch, der Intellekt physisch; — der Intellekt ist, wie seine Objekte, bloße Erscheinung, Ding an sich ist allein der Wille; oder, mehr bildlich, mithin gleichnisweise geredet: der Wille ist die Substanz des Menschen, der Intellekt das Akzidenz; — der Wille ist die Materie, der Intellekt die Form; — der Wille ist die Wärme, der Intellekt das Licht. (W. II, 224 fg. 306, E. 132. N. 50 fg. P. II, 47—50.)
Die einfachste, unbefangene Selbstbeobachtung, zusammengehalten mit dem anatomischen Ergebnis, führt zu dem Resultat, dass der Intellekt, wie seine Objektivation, das Gehirn (s. Gehirn), nebst diesem anhängenden Sinnenapparat, nichts Anderes sei, als eine sehr gesteigerte Empfänglichkeit für Einwirkungen von außen, nicht aber unser ursprüngliches und eigentliches inneres Wesen ausmache; also, dass in uns der Intellekt nicht Dasjenige sei, was in der Pflanze die treibende Kraft, oder im Steine die Schwere, nebst chemischen Kräften, ist; — als dieses ergibt sich allein der Wille. Sondern der Intellekt ist in uns Das, was in der Pflanze die Empfänglichkeit für äußere Einflüsse, für physikalische und chemische Einwirkungen; nur dass in uns diese Empfänglichkeit so überaus hoch gesteigert ist, dass, vermöge ihrer, die ganze objektive Welt, die Welt als Vorstellung sich darstellt. (P. II, 49.) Die sekundäre Natur des Intellekt im Verhältnis zum Willen als dem Primären geht besonders aus Folgendem hervor:
Wenn wir die Stufenreihe der Tiere abwärts durchlaufen, sehen wir den Intellekt immer schwächer und unvollkommener werden; aber keineswegs bemerken wir eine entsprechende Degradation des Willens. Vielmehr behält dieser überall sein identisches Wesen und zeigt sich als große Anhänglichkeit am Leben, Sorge für Individuum und Gattung, Egoismus und Rücksichtslosigkeit gegen alle Andern, nebst den hieraus entspringenden Affekten. Vermöge der Einfachheit, die dem Willen als dem Ding an sich zukommt, lässt sein Wesen keine Grade zu, bloß seine Erregung hat Grade. Der Intellekt hingegen hat nicht bloß Grade der Erregung, sondern auch Grade seines Wesens selbst. (W. II, 230—232.)
Der Intellekt ermüdet, der Wille ist unermüdlich. Alles Erkennen ist mit Anstrengung verknüpft. Wollen hingegen geht von selbst und ohne alle Mühe vor sich. Säuglinge, die kaum die erste schwache Spur von Intelligenz zeigen, sind schon voller Eigenwillen. Der Intellekt hingegen entwickelt sich langsam, der Vollendung des Gehirns und der Reife des ganzen Organismus folgend. Der Intellekt ist oft träge und unaufgelegt zur Tätigkeit; er bedarf der Ruhe nach der Anstrengung und wird durch anhaltende Arbeit abgestumpft. Der Wille hingegen ist nie träge und ruht nie; denn im tiefen Schlaf wirkt er noch als Lebenskraft. Der Intellekt ist mannigfachen Schwächen und Unvollkommenheiten unterworfen; das Wollen geht allemal vollkommen von Statten. (W. II, 236—241.)
Der Intellekt erfährt Störungen und Trübungen vom Willen; er wird unfähig, richtig zu operieren, sobald der Wille irgendwie in Bewegung gerät. Entsprechende, unmittelbare Störungen des Willens durch den Intellekt hingegen gibt es nicht. Die einzige entschiedene, unmittelbare Hemmung und Störung des Willens durch den Intellekt ist die ganz exzeptionelle, dass das Genie der Energie des Charakters und folglich der Tatkraft entschieden hinderlich ist. (W. II, 241—247.)
Die Herrschaft des Willens über den Intellekt zeigt sich nicht bloß in den Störungen und Hemmungen die dieser von jenem erfährt, sondern auch in den Förderungen und Steigerungen, die seine Funktionen durch den Antrieb und Sporn des Willens erhalten; der Intellekt gehorcht dem Willen. Hingegen gehorcht eigentlich nie der Wille dem Intellekt, sondern dieser ist bloß der Ministerrat jenes Souveräns. Über die Grundrichtung des Willens hat der Intellekt keine Macht. Zu glauben, dass die Erkenntnis wirklich und von Grund aus den Willen bestimme, ist wie glauben, dass die Laterne, die Einer bei Nacht trägt, das primum mobile seiner Schritte sei. (W. II, 247—252.)
Der Intellekt ist kalt, nimmt an Nichts Anteil oder Interesse, — man sagt: der kalte Verstand; der Wille erst gibt einer Unterredung oder Untersuchung die Wärme. Das Interesse entscheidet über Anerkennung oder Verwerfung der Wahrheit, so wie über die Würdigung der Leistungen. (W. II, 253—255.) Dem erkennenden Subjekt (Intellekt) für sich ist an nichts gelegen. (W. II, 570 fg.)
Vorzüge und Fehler des Intellekts werden dem Individuum nicht als Verdienst und Schuld zugerechnet, hingegen Vorzüge und Fehler des Willens (Charakters). Die moralische Schätzung Anderer und unserer selbst bezieht sich nicht auf die Intellektuelle Begabung, die Geistesgaben, die man allezeit als ein Geschenk der Natur angesehen hat, sondern auf die Beschaffenheit des Willens, die man als den Kern, das Wesen, die Essenz des Menschen ansieht. Glänzende Eigenschaften des Geistes erwerben Bewunderung, aber nicht Zuneigung, diese bleibt den moralischen, den Eigenschaften des Charakters vorbehalten. (W. II, 258—263. Vergl. auch unter Herz: Gegensatz zwischen Herz und Kopf.)
Der Intellekt erleidet höchst bedeutende Veränderungen durch die Zeit, während der Wille und Charakter von diesen unberührt bleibt. Während der Intellekt eine lange Reihe allmählicher Entwickelungen zu durchlaufen hat, dann aber, wie alles Physische, dem Verfall entgegengeht, nimmt der Wille hieran keinen Teil, als nur, sofern er Anfangs mit der Unvollkommenheit seines Werkzeugs, des Intellekts, und zuletzt wieder mit dessen Abgenutztheit zu kämpfen hat. (W. II, 263—267.)
Der Intellekt wird, als bloße Funktion des Gehirns, vom Untergang des Leibes mitgetroffen; hingegen keineswegs der Wille. Auf dieser Heterogenität Beider, nebst der sekundären Natur des Intellekts, wird es begreiflich, dass der Mensch in der Tiefe seines Selbstbewusstseins sich ewig und unzerstörbar fühlt, dennoch aber keine Erinnerung über seine Lebensdauer hinaus haben kann. (W. II, 306.)

2) Zweck des Intellekts.

Zum Dienste eines individuellen Willens hat ihn hie Natur hervorgebracht; daher ist er allein bestimmt, die Dinge zu erkennen, sofern sie die Motive eines solchen Willens abgeben; nicht aber, sie zu ergründen, oder ihr Wesen an sich aufzufassen. (W. II, 156. 284. 322 fg. N. 69. P. II, 103. 290. Vergl. auch unter Bewusstsein: Ursprung und Zweck des Bewusstseins.)
Wie mit jedem Organ und jeder Waffe, zur Offensive oder Defensive, hat sich auch, in jeder Tiergestalt, der Wille mit einem Intellekt ausgerüstet, als einem Mittel zur Erhaltung des Individuums und der Art; daher haben die Alten den Intellekt das Hegemonikon, d. h. den Wegweiser und Führer genannt. Demzufolge ist der Intellekt allein zum Dienste des Willens bestimmt und diesem überall genau angemessen. Diejenigen Tiere, die im Verhältnis zu ihrer Organisation, ihrer Lebensweise, Lebensdauer und Proliferation mehr Intellekt brauchten, haben dessen auch offenbar viel mehr. (Vergl. Affe und Elefant.) Im Menschen steht der den Tieren so sehr überlegene Intellekt doch eben nur im Verhältnis teils zu seinen Bedürfnissen, welche die der Tiere weit übersteigen, teils zu seinem gänzlichen Mangel an natürlichen Waffen und natürlicher Bedeckung, und seiner verhältnismäßig schwächeren Muskelkraft, endlich auch zu seiner langsamen Fortpflanzung, langen Kindheit und langen Lebensdauer, welche sichere Erhaltung des Individuums forderte. Alle diese großen Forderungen mussten durch Intellektuelle Kräfte gedeckt werden; daher sind diese hier so überwiegend. Überall aber finden wir den Intellekt als das Sekundäre, Untergeordnete, bloß den Zwecken des Willens zu dienen Bestimmte. (N. 48—51.)

3) Die Stufen des Intellekts in der aufsteigenden Tierreihe und im Menschengeschlecht.

In dem Maße, als in der aufsteigenden Tierreihe der Intellekt sich immer mehr entwickelt und vollkommener auftritt, sondert sich das Erkennen immer deutlicher vom Wollen und wird dadurch reiner. (W. II, 329. S. unter Erkenntnis: Grade der Erkenntnis, und unter Bewusstsein: Unterschiede des Bewusstseins.) Auf dem Grade dieser Sonderung beruht im tiefsten Grunde der Unterschied und die Stufenfolge der Intellektuellen Fähigkeiten, sowohl zwischen verschiedenen Tierarten, als auch zwischen menschlichen Individuen; er gibt also das Maß für die Intellektuelle Vollkommenheit dieser Wesen. Das Tier nimmt die Dinge nur so weit wahr, als sie Motive für seinen Willen sind. Hingegen fasst selbst der stumpfste Mensch die Dinge schon einigermaßen objektiv auf; jedoch bei den Wenigsten erreicht dies den Grad, dass sie einer rein objektiven Prüfung und Beurteilung der Sachen fähig wären. Die Objektivität der Erkenntnis hat unzählige Grade, die aus der Energie des Intellekts und seiner Sonderung vom Willen beruhen und deren höchster das Genie ist. (S. Genie.) Die Steigerung der Intelligenz vom dumpfsten tierischen Bewusstsein bis zu dem des Menschen ist also eine fortschreitende Ablösung des Intellekts vom Willen, welche vollkommen, wiewohl nur ausnahmsweise, im Genie eintritt. (W. II, 330. N. 74—78.)
Auf der erst im Menschen eintretenden deutlichen Sonderung des Intellekts vom Willen und folglich des Motivs von der Handlung beruht der täuschende Schein einer Freiheit in den einzelnen Handlungen. (N. 77 fg. Vergl. unter Freiheit: Wo die moralische Freiheit liegt.)

4) Sparsamkeit der Natur in Erteilung des Intellekts.

Dem Gesetze der Sparsamkeit der Natur ist es völlig gemäß, dass sie die geistige Eminenz überhaupt höchst Wenigen, und das Genie nur als die seltenste aller Ausnahmen erteilt, den großen Haufen des Menschengeschlechts aber mit nicht mehr Geisteskräften ausstattet, als die Erhaltung des Einzelnen und der Gattung erfordert. Denn die großen und sich beständig vermehrenden Bedürfnisse des Menschengeschlechts machen es notwendig, dass der bei weitem größte Teil desselben sein Leben mit grob körperlichen und ganz mechanischen Arbeiten zubringt; wozu sollte nun diesem ein lebhafter Geist, eine glühende Phantasie, ein subtiler Verstand, ein tief eindringender Scharfsinn? Dergleichen würde die Leute nur untauglich und unglücklich machen. Daher also ist die Natur mit dem kostbarsten aller ihrer Erzeugnisse am wenigsten verschwenderisch umgegangen. — Beachtenswert ist es, dass im Süden, wo die Not des Lebens weniger schwer auf dem Menschengeschlechte lastet und mehr Muße gestattet, auch die geistigen Fähigkeiten, selbst der Menge, sogleich regsamer und feiner werden. (W. II, 321.)

5) Beschränkung des Intellekts auf Erscheinungen.

Aus der Bestimmung des Intellekts, das Medium der Motive, die Leuchte und der Lenker der Schritte des Willens zu sein, erklärt es sich, warum er unzulänglich ist, das wahre Wesen der Dinge zu erfassen. Er ist eben ursprünglich nicht bestimmt, uns über das Wesen der Dinge zu belehren, sondern nur ihre Relationen in Bezug auf unseren Willen uns zu zeigen. Er ist gleichsam eine bloße Flächenkraft, wie die Elektrizität, und dringt nicht in das Innere der Wesen. Schon die christlichen Mystiker erklären den Intellekt, indem sie ihn das Licht der Natur nennen, für unzulänglich, das wahre Wesen der Dinge zu erfassen. (W. II, 195.) Ein solches ausschließlich zu praktischen Zwecken vorhandenes Erkenntnisvermögen, wie der Intellekt, wird seiner Natur nach stets nur die Relationen der Dinge zu einander auffassen, nicht aber das eigene Wesen derselben, wie es an sich selbst ist. (W. II, 322—327.) Da die Erkenntnis nur zum Behuf der Erhaltung jedes tierischen Individuums da ist; so ist auch ihre ganze Beschaffenheit, alle ihre Formen, wie Zeit, Raum u. s. w. bloß auf die Zwecke eines solchen eingerichtet. Diese nun erfordern bloß die Erkenntnis von Verhältnissen zwischen einzelnen Erscheinungen, keineswegs aber die vom Wesen der Dinge und dem Weltganzen. (P. II, 103. Vergl. auch unter Bewusstsein: Beschränkung des Bewusstseins auf Erscheinungen, und unter Ding an sich: Warum unsere Erkenntnis des Dinges an sich keine adäquate ist.)

6) Unvollkommenheiten des Intellekts.

a) Wesentliche Unvollkommenheiten.

Die größte der wesentlichen Unvollkommenheiten unseres Intellekts entspringt aus dem Gebundensein an die Form der Zeit, welches macht, dass wir Alles nur sukzessive erkennen und nur Eines zur Zeit uns bewusst werden. Um das Eine zu ergreifen, muss der Intellekt das Andere fahren lassen, nichts, als die Spuren von ihm zurückbehaltend, welche immer schwächer werden. Auf dieser Unvollkommenheit des Intellekts beruht das Rhapsodische und oft Fragmentarische unseres Gedankenlaufs, und aus diesem entsteht die unvermeidliche Zerstreuung unseres Denkens. In Folge des unvermeidlich Zerstreuten und Fragmentarischen alles unseres Denkens und des dadurch herbeigeführten Gemisches der heterogensten Vorstellungen haben wir nur eine halbe Besinnung. Aus der Form der Zeit folgt, wie die Zerstreuung, so auch die Vergesslichkeit des Intellekts.
Diese inneren und wesentlichen Unvollkommenheiten des Intellekts werden noch erhöht durch eine ihm gewissermaßen äußerliche, aber unausbleibliche Störung, nämlich durch den Einfluss des Willens auf seine Operationen, d. i. den Einfluss der Interessen, Neigungen, Affekte, Leidenschaften.
Zu allen diesen Unvollkommenheiten des Intellekts kommt endlich noch die des Alterns mit dem Gehirn und folglich des Abnehmens seiner Energie. (W. II, 150—156.)

b) Unwesentliche Unvollkommenheiten.

Die nachgewiesenen wesentlichen Unvollkommenheiten des Intellekts werden im einzelnen Falle stets noch durch unwesentliche erhöht. Nie ist der Intellekt in jeder Hinsicht, was er möglicherweise sein könnte; die ihm möglichen Vollkommenheiten stehen einander so entgegen, dass sie sich ausschließen. Daher kann Keiner Plato und Aristoteles, oder Shakespeare und Newton, oder Kant und Goethe zugleich sein. Die Unvollkommenheiten des Intellekts hingegen vertragen sich sehr wohl zusammen. Seine Funktionen hängen von so vielen (anatomischen und physiologischen) Bedingungen ab, dass ein auch nur in einer Richtung entschieden exzellierender Intellekt zu den seltensten Naturerscheinungen gehört. (W. II, 156—162.)

7) Verunreinigungen des Intellekts.

Was für die äußere Körperwelt das Licht, das ist für die innere Welt des Bewusstseins der Intellekt. Denn dieser verhält sich zum Willen, also auch zum Organismus, der ja bloß der objektiv angeschaute Wille ist, ungefähr so, wie das Licht zum brennenden Körper und dem Oxygen, bei deren Vereinigung es ausbricht. Und wie dieses um so reiner ist, je weniger es sich mit dem Rauche des brennenden Körpers vermischt; so auch ist der Intellekt um so reiner, je vollkommener er vom Willen, dem er entsprossen, gesondert ist. (P. II, 47.)
Es kann keinen Intellekt geben, der nicht dem Wesentlichen und rein Objektiven der Erkenntnis ein diesem fremdes Subjektives, aus der den Intellekt tragenden und bedingenden Persönlichkeit Entspringendes, also etwas Individuelles, beimischte, wodurch denn Jenes allemal verunreinigt wird. Der Intellekt, bei welchem dieser Einfluss am geringsten ist, wird am reinsten objektiv, mithin der vollkommenste sein. Jedoch ein absolut objektiver, mithin vollkommen reiner Intellekt ist so unmöglich, wie ein absolut reiner Ton. — Zu den Verunreinigungen der Erkenntnis durch die ein für alle Mal gegebene Beschaffenheit des Subjekts, die Individualität, kommen noch die direkt aus dem Willen und seiner einstweiligen Stimmung, also aus dem Interesse, den Leidenschaften, den Affekten hervorgehenden. (P. II, 68—70.)

8) Die richtige Proportion zwischen Intellekt und Wille.

Jedes animalische Wesen, zumal der Mensch, bedarf, um in der Welt bestehen und fortkommen zu können, einer gewissen Angemessenheit und Proportion zwischen seinem Willen und seinem Intellekt. Je genauer und richtiger nun die Natur diese getroffen hat, desto leichter, sicherer und angenehmer wird er durch die Welt kommen. Inzwischen reicht eine bloße Annäherung zu dem eigentlich richtigen Punkte schon hin, ihn vor Verderben zu schützen. Es gibt demnach eine gewisse Breite innerhalb der Grenzen der Richtigkeit und Angemessenheit des besagten Verhältnisses. Die dabei geltende Norm ist nun folgende. Da die Bestimmung des Intellekts ist, die Leuchte und der Lenker der Schritte des Willens zu sein; so muss, je heftiger, ungestümer und leidenschaftlicher der innere Drang eines Willens ist, desto vollkommener und heller der ihm beigegebene Intellekt sein, damit die Heftigkeit des Wollens und Strebens den Menschen nicht irre führe und ins Verderben stürze. Hingegen kann ein phlegmatischer Charakter, also ein schwacher, matter Wille, schon mit einem geringen Intellekt auskommen, ein mäßiger bedarf eines mäßigen. Jedes von der angegebenen Norm abweichende Missverhältnis zwischen einem Willen und seinem Intellekt ist geeignet, den Menschen unglücklich zu machen, folglich auch, wenn das Missverhältnis das umgekehrte ist, d. i. wenn der Intellekt, wie beim Genie, den Willen ganz unverhältnismäßig überwiegt. (Vergl. Genie.) Solches Überwiegen ist für die Bedürfnisse und Zwecke des Lebens nicht bloß überflüssig, sondern denselben geradezu hinderlich. Das Genie wird nie in der gemeinen Außenwelt und dem bürgerlichen Leben sich so zu Hause fühlen und so richtig eingreifen, wie der Normalkopf. Das Genie ist im Grunde ein monstrum per excessum, wie, umgekehrt, der leidenschaftliche, heftige Mensch, ohne Verstand, der hirnlose Wüterich, ein monstrum per defectum ist. (P. II, 616 fg.)