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Schopenhauers Kosmos

 

 Dummheit.

1) Wesen der Dummheit.

Dummheit ist Mangel an Verstand, Stumpfheit in der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, Unfähigkeit zur unmittelbaren Auffassung der Verkettungen von Ursache und Wirkung, Motiv und Handlung. Ein Dummer merkt z. B. nicht, dass verschiedene Personen, scheinbar unabhängig von einander, in der Tat aber in verabredetem Zusammenhang handeln; er lässt sich daher leicht mystifizieren. Immer mangelt dem Dummen nur das Eine: Schärfe, Schnelligkeit, Leichtigkeit der Anwendung des Gesetzes der Kausalität, d. i. Kraft des Verstandes. (W. I, 26 fg.)

2) Beliebtheit der Dummen.

Dass die Dummen so beliebt sind und in dem Rufe besonderer Herzensgüte stehen, hat folgenden Grund. Jeder wählt zu seinem Umgang am liebsten Einen, dem er an Verstande überlegen ist; denn nur bei diesem fühlt er sich behaglich. Aus dem selben Grunde flieht und hasst Jeder Den, der ihm überlegen ist. Dies ist es, was die Dummen so allgemein beliebt macht. Diesen wahren Grund der Zuneigung gesteht sich jedoch Keiner ein, und daher wird, als plausibler Vorwand für dieselbe, den Dummen eine besondere Herzensgüte angedichtet. (W. II, 256 fg.)

3) Zusammenhang der Dummheit mit der moralischen Schlechtigkeit.

Da man Dummheit so oft mit moralischer Schlechtigkeit beisammen findet, so entsteht der Anschein, dass beide eng zusammenhängen, beide aus Einer Wurzel entsprießen. Dem ist jedoch nicht so. Jener Anschein ist gänzlich aus dem sehr häufigen Vorkommen Beider zu erklären, in Folge dessen ihnen leicht begegnet, unter einem Dach wohnen zu müssen. (P. II, 224.)
Große Beschränktheit des Kopfes kann mit großer Güte des Herzens zusammenbestehen, und Balthazar Gracian geht daher zu weit, wenn er sagt: No ay simple, que no sea malicioso (Es gibt keinen Tropf, der nicht boshaft wäre), obwohl er das Spanische Sprichwort: Nunca la necedad anduvo sin malicia (Nie geht die Dummheit ohne die Bosheit), für sich hat. Jedoch mag es sein, dass manche Dumme, aus dem selben Grunde wie manche Bucklige, boshaft werden, nämlich aus Erbitterung über die von der Natur erlittene Zurücksetzung und indem sie gelegentlich, was ihnen an Verstande abgeht, durch Heimtücke zu ersetzen vermeinen, darin einen kurzen Triumph suchend. (W. II, 255 fg.) Es ist nicht zu leugnen, dass Dummheit und Schlechtigkeit einander in die Hände spielen. Namentlich ist der Unverstand dem deutlichen Sichtbarwerden der Falschheit, Niederträchtigkeit und Bosheit günstig; während die Klugheit diese besser zu verhüllen versteht. Und wie oft verhindert andererseits die Perversität des Herzens den Menschen, Wahrheiten einzusehen, denen sein Verstand ganz wohl gewachsen wäre. (P. II, 224.)

4) Gegensatz zwischen Dummheit und Schlechtigkeit in Hinsicht auf die Zurechnung.

Ist Einer dumm, so entschuldigt man ihn damit, dass er nicht dafür kann; aber wollte man Den, der schlecht ist, eben damit entschuldigen, so würde man ausgelacht werden. Und doch ist das Eine, wie das Andere angeboren. Dies beweist, dass der Wille der eigentliche Mensch ist, der Intellekt bloß sein Werkzeug. (W. II, 259.)

5) Worauf die Schlauheit der Dummen beruht.

Der beschränkte Kopf kann die wenigen und einfachen Verhältnisse, welche im Bereich seiner engen Wirkungssphäre liegen, mit viel größerer Leichtigkeit übersehen und die Hebel derselben handhaben, als der eminente, der eine ungleich größere und reichere Sphäre überblickt und mit langen Hebeln agiert, es könnte. So sieht das Insekt auf seinen Stängeln und Blättchen Alles mit minutiösester Genauigkeit und besser, als wir; wird aber nicht den Menschen gewahr, der drei Schritte davon steht. Hierauf beruht die Schlauheit der Dummen und das Paradoxon: Il y a un mystère dans l'esprit des gens qui n'en ont pas. (W. II, 161.)

6) Auch Dummköpfe sprechen mitunter eine Wahrheit aus, die nicht geringzuschätzen ist.

Man schätze nicht einen neuen, vielleicht wahren Ausspruch oder Gedanken gering, weil man ihn aus dem Munde eines Dummkopfs vernimmt. Ein spanisches Sprichwort sagt: In seinem Hause weiß der Narr besser Bescheid, als der Kluge in einem fremden. Auch findet ja bisweilen eine blinde Henne ein Körnchen, und es ist wahr: Il y a un mystère dans l'esprit des gens qui n'en ont pas. (P. II, 67.)