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Schopenhauers Kosmos

 

 Astronomie.

1) Was die Astronomie eigentlich zeigt.

Mechanik und Astronomie zeigen uns eigentlich, wie der Wille, der das Wesen und der Kern der Welt ist, sich benimmt so weit als er, auf der niedrigsten Stufe seiner Erscheinung, bloß als Schwere, Starrheit und Trägheit auftritt. (W. II, 337.) Da die Materie bloß die Wahrnehmbarkeit der Erscheinungen des Willens ist, so hat man in jedem Streben, welches aus der Natur eines materiellen Wesens hervorgeht und eigentlich diese Natur ausmacht (also auch in der Gravitation der Himmelskörper), ein Wollen zu erkennen, und es gibt demnach keine Materie ohne Willensäußerung. Die niedrigste und deshalb allgemeinste Willensäußerung ist die Schwere. (N. 84.)

2) Woher die Sicherheit und Verständlichkeit der Astronomie stammt.

Die Sicherheit der Astronomie stammt daher, dass ihr die a priori gegebene, also unfehlbare Anschauung des Raumes zum Grunde liegt, alle räumlichen Verhältnisse aber eines aus dem andern, mit einer Notwendigkeit, welche Gewissheit a priori liefert, folgen und sich daher mit Sicherheit aus einander ableiten lassen. Zu diesen mathematischen Bestimmungen kommt hier nur noch eine einzige Naturkraft, die Schwere, welche genau im Verhältnis der Massen und des Quadrats der Entfernung wirkt, und endlich das a priori gesicherte, weil aus dem der Kausalität folgende, Gesetz der Trägheit (s. Trägheit), nebst dem empirischen Datum der ein für alle Mal jeder dieser Massen aufgedrückten Bewegung. Dies ist das ganze Material der Astronomie, welches sowohl durch seine Einfachheit als seine Sicherheit zu festen und, vermöge der Größe und Wichtigkeit der Gegenstände, sehr interessanten Resultaten führt. (W. I, 79.)
Die Aufgabe, aus vielerlei zusammenwirkenden Naturkräften gegebene Erscheinungen zu erklären, und sogar jene erst aus diesen herauszufinden, ist viel schwieriger, als die, welche nur zwei und zwar so simple und einförmig wirkende Kräfte, wie Gravitation und Trägheit, im widerstandslosen Raume, zu berücksichtigen hat; und gerade auf dieser unvergleichlichen Einfachheit oder Ärmlichkeit ihres Stoffes beruht die mathematische Gewissheit, Sicherheit und Genauigkeit der Astronomie. (P. II, 135.)
Die so genauen und richtig zutreffenden astronomischen Berechnungen sind nur dadurch möglich, dass der Raum eigentlich in unserm Kopfe ist; sie beweisen also die Idealität des Raumes. (P. II, 46.)
Wie die größere Sicherheit, so beruht auch die größere Verständlichkeit der Astronomie darauf, dass in ihr die apriorische Form den empirischen Gehalt überwiegt. So weit nämlich die Dinge rein a priori bestimmbar sind, gehören sie allein der Vorstellung an, der bloßen Erscheinung, deren uns a priori bewusste Formen das Prinzip der Verständlichkeit sind. Daher hat man völlige, durchgängige Begreiflichkeit nur so lange, als man sich ganz auf diesem Gebiete hält, mithin bloße Vorstellung, ohne empirischen Gehalt, vor sich hat, bloße Form; also in den Wissenschaften a priori, in der Arithmetik, Geometrie, Phoronomie und in der Logik. Hingegen beginnt die Unverständlichkeit da, wo wir es nicht mehr mit der bloßen Form, sondern mit dem Was, dem Gehalt, dem Ding an sich, dem Willen, zu tun haben, und sie wächst in dem Maße, als dieser höher steigt und die mathematische Berechenbarkeit seiner Äußerungen abnimmt. Daher nimmt die Verständlichkeit der Naturerscheinungen in dem Maße ab, als sie höher auf der Wesenleiter stehen und ihr empirischer Gehalt, die Willensmanifestation, das allein a posteriori Erkennbare, überwiegt, folglich Ursache und Wirkung immer ungleichartiger und der kausale Zusammenhang immer unverständlicher wird. (N. 86 fg.)

3) Die bei den astronomischen Entdeckungen stattfindende Verstandesoperation.

Keine Wissenschaft imponiert der Menge so sehr, wie die Astronomie. Es erregt Staunen, dass sie sogar noch nicht gesehene Planeten ankündigt. Und doch beruht Letzteres nur auf derselben Verstandesoperation, die bei jedem Bestimmen einer noch ungesehenen Ursache aus ihrer sich kundgebenden Wirkung vollzogen wird und in noch bewunderungswürdigerem Grade ausgeführt wurde durch jenen Weinkenner, der aus einem Glas Wein mit Sicherheit erkannte, es müsste Leder im Fasse sein, welches ihm abgeleugnet wurde, bis, nach endlicher Ausleerung desselben, sich auf dessen Boden liegend ein Schlüssel mit einem Riemchen daran fand. Die hierbei und bei der Entdeckung des Neptun stattfindende Verstandesoperation ist die selbe, und der Unterschied liegt bloß in der Anwendung, im Gegenstand; sie ist bloß durch den Stoff, keineswegs durch die Form verschieden. (P. II, 134—136.)

4) Methode der Astronomie.

Der Ursprung der ersten astronomischen Grundwahrheiten ist eigentlich Induktion, d. h. Zusammenfassung des in vielen Anschauungen Gegebenen in ein richtiges unmittelbar begründetes Urteil; aus diesem werden nachher Hypothesen gebildet, deren Bestätigung durch die Erfahrung, als der Vollständigkeit sich nähernde Induktion, den Beweis für jenes erste Urteil gibt. Z. B. die scheinbare Bewegung der Planeten ist empirisch erkannt; nach vielen falschen Hypothesen über den räumlichen Zusammenhang dieser Bewegung (Planetenbahn) ward endlich die richtige gefunden, sodann die Gesetze, welche sie befolgt (die Keplerschen), zuletzt auch die Ursache derselben (allgemeine Gravitation), und sämtlichen Hypothesen gab die empirisch erkannte Übereinstimmung aller vorkommenden Fälle mit ihnen und mit den Folgerungen aus ihnen, also Induktion, vollkommene Gewissheit. (W. I, 79 fg.)

5) Die Astronomie, vom Standpunkt der Philosophie aus betrachtet.

Vom Standpunkt der Philosophie aus könnte man die Astronomen Leuten vergleichen, welche der Aufführung einer großen Oper beiwohnen, jedoch ohne sich durch die Musik oder den Inhalt des Stückes zerstreuen zu lassen, bloß Acht gäben auf die Maschinerie der Dekorationen und auch so glücklich wären, das Getriebe und den Zusammenhang derselben vollkommen herauszubringen. (P. II, 136. 685.)

6) Einfluss der Astronomie auf den Glauben.

Der ernstlich gemeinte Theismus setzt notwendig voraus, dass man die Welt einteile in Himmel und Erde; auf dieser laufen die Menschen herum, in jenem sitzt der Gott, der sie regiert. Nimmt nun die Astronomie den Himmel weg, so hat sie den Gott mit weggenommen; sie hat nämlich die Welt so ausgedehnt, dass für den Gott kein Raum übrig bleibt. Aber ein persönliches Wesen, wie jeder Gott unumgänglich ist, das keinen Ort hätte, sondern überall und nirgends wäre, lässt sich bloß sagen, nicht imaginieren und darum nicht glauben. Darum muss in dem Maße, als die physische Astronomie popularisiert wird, der Theismus schwinden. (P. I, 55 fg.)